Mai 2024
Pressemitteilung zum Prozess der Überarbeitung des Neuköllner “Leitfaden Obdachlosigkeit”
Mitte März 2023 veröffentlichte der scheidende Neuköllner Sozialstadtrat Falko Liecke einen “Leitfaden Obdachlosigkeit”, der den Umgang des Bezirksamtes mit Wohnungslosigkeit im öffentlichen Raum transparent machen sollte. Der Leitfaden wurde aufgrund seiner starken Fokussierung auf Zwangsmaßnahmen gegen wohnungslose Menschen von vielen Akteur:innen öffentlich kritisiert. In der Sozialausschusssitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln am 07.06.2023 wurde eine Überarbeitung, bzw. Neufassung des Leitfadens beschlossen, die die Hilfe für wohnungslose Menschen in den Vordergrund stellen sollte. Wir haben uns bereiterklärt, an dieser Überarbeitung mitzuwirken.
Seitdem hat Hr. Rehfeldt als amtierender Sozialstadtrat um Stellungnahmen für eine Überarbeitung gebeten und ein gemeinsames Online-Treffen organisiert. Ein persönliches Treffen der Beteiligten hat bisher nicht stattgefunden. Beim Online-Treffen am 30.11.2023 entstand bei uns allerdings der Eindruck, dass keine grundsätzliche Überarbeitung, sondern vor allem ein Feilen an Formulierungen im Dokument vorgesehen ist. Hr. Rehfeldt gab bei diesem Treffen auch Hinweise auf den vorgesehenen Rahmen der Überarbeitung: der Begriff “freiwillige Obdachlosigkeit” müsse beispielsweise im Dokument bleiben, die Vorschläge müssten das Handeln des Bezirks betreffen - das sei etwa im Fall von Anforderungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie dem Recht auf Wohnen, nicht der Fall. Eine Umsetzung dieser Normen hatte UfO Berlin in seinem Statement vorher vom Bezirk eingefordert. Vor diesem Hintergrund sind wir besorgt, dass es nicht zu einer grundlegenden Überarbeitung des Leitfadens kommen wird und dass in unserem Namen ein kaum verändertes Dokument erstellt wird. Wir machen unsere Bedenken und Forderungen öffentlich, um nicht für die Legitimierung eines Verwaltungshandelns herangezogen zu werden, welches wir ablehnen.
Wir erwarten von allen Bezirken Berlins, dass sie die Verdrängung von wohnungs- und obdachlosen Menschen nicht als Lösung für gesellschaftliche Probleme, etwa von Sauberkeit im öffentlichen Raum, darstellen. Maßnahmen wie Verbotszonen für wohnungs- und obdachlose Menschen oder die Abschiebung wohnungsloser EU-Bürger:innen sind nicht geeignet, um Probleme mit Wohnungslosigkeit zu lösen, sondern führen höchstens zu einer Verlagerung von Wohnungslosigkeit. Gleichzeitig tragen sie durch die Zerstörung lokaler Routinen, sozialer Netzwerke und persönlicher Gegenstände wohnungsloser Menschen weiter zur Verschlechterung ihrer Situation bei.
Statt auf Verdrängung wohnungsloser Menschen zu setzen, fordern wir das Bezirksamt auf, nach progressiven Lösungen im Umgang mit Wohnungslosigkeit in Neukölln zu suchen. Trotz eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten sollen die Formen von Unterstützung wohnungs- und obdachloser Menschen verstärkt werden. Als Möglichkeiten hierfür sehen wir:
- Personelle Stärkung und klare Leitlinien der Sozialen Wohnhilfe im Bezirksamt, damit wohnungslose Menschen nicht ohne Angebot abgewiesen werden;
- Zusammenarbeit mit sozialen Trägern, die Wohnungen im Bezirk für wohnungslose Menschen schaffen wollen;
- Die Durchsetzung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes, das Leerstand von Wohnraum oder langfristige Nutzung als Ferienwohnungen sanktioniert;
- Die Stärkung niedrigschwelliger Hilfsangebote, wie z.B. Straßensozialarbeit, Suchthilfe, Notübernachtungen, Essensausgaben oder kostenlose öffentliche Toiletten;
- Die Kontrolle der Einhaltung von Standards in ASOG-Unterkünften;
- Einsatz für die Überwindung von Wohnungslosigkeit auf Bundes- und Landesebene, z.B. in Form von Mietregulierung, Stärkung der Rechte von Mieter:innen und Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, auch gezielt für wohnungslose Menschen.
Wir fordern eine grundsätzliche Neuausrichtung des “Leitfaden Obdachlosigkeit” und die Möglichkeit, sich persönlich mit anderen Beteiligten zu treffen. Wir bitten den Bezirksstadtrat Rehfeldt, zu unseren Forderungen Stellung zu nehmen und auch einzuordnen, wer letztendlich über die Ausgestaltung des Leitfadens entscheidet. Liefern wir lediglich Überarbeitungsideen für das Bezirksamt, welches über die Formulierung des Dokuments entscheidet? Oder geht es darum, in einem gemeinsamen Entscheidungsprozess Lösungen für den Umgang mit Wohnungslosigkeit in Neukölln zu suchen?
Die Union für Obdachlosenrechte Berlin und der AK Wohnungsnot