Oktober 2017
Strategie und Hilfen statt Vertreibung von Obdachlosen im Tiergarten! Presseerklärung des AKWO
Der Arbeitskreis Wohnungsnot (AKWO), ein Zusammenschluss von Mitarbeitenden aus mehr als 60 Berliner Einrichtungen für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, stellt einen eklatanten Mangel in der Versorgung von EU-Bürger*innen in Berlin fest.
Rund 4 Millionen EU-Bürger*innen leben und arbeiten in Deutschland. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. geht davon aus, dass sich ca. 50 000 EU-Bürger*innen in einer prekären Situation befinden und überwiegend auf der Straße leben. Nach Schätzungen des AKWO sind es in Berlin mehrere Tausende.
Diese Menschen kommen in der Mehrheit aus Osteuropa. Sie sind auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Das ist völlig legitim und legal. Wie alle anderen EU-Bürger*innen haben sie das Recht, in einem anderen Mitgliedsstaat ein Leben aufzubauen und selbständig oder angestellt zu arbeiten. Solange sie noch keine Arbeit gefunden haben, versagen ihnen die Behörden eine soziale Unterstützung. Selbst die gesetzliche Pflicht zur Unterbringung wird ihnen regelmäßig verwehrt. Lediglich in den fünf Wintermonaten können sie einen notdürftigen Übernachtungsplatz in der Kältehilfe bekommen. Tagsüber sind diese EU-Bürger*innen häufig unversorgt. Sind die Übernachtungsplätze überfüllt, sind sie gezwungen, im Freien zu übernachten. Zudem ist die Unterbringung in großen Massenunterkünften häufig mit viel Stress für die Menschen verbunden.
Diesen Umstand versucht der Bürgermeister des Bezirkes Mitte nun mit ordnungs- und ausländerrechtlichen Maßnahmen zu unterbinden. In der Tat ist es möglich, einem*r EU-Bürger*in die Freizügigkeit nach 6 Monaten wegen erfolgloser Arbeitssuche durch die Ausländerbehörde entziehen zu lassen. Abgesehen davon, dass dies eine wenig soziale Lösung ist, bleibt dieses Instrument stumpf, da jede*r EU-Bürger*in sofort wieder einreisen kann, mit der Folge, dass die 6-Monatsfrist erneut beginnt.
Die generelle Kriminalisierung und Stigmatisierung von Obdachlosen im Tiergarten ist eine Diskriminierung armer Menschen und lenkt davon ab, dass die Sozialbehörden versagt haben. Auf Grund der Ereignisse wurde vom Senat eine sogenannte Task Force gebildet, deren einziges Ergebnis ist, sich künftig von den Obdachlosen die Ausweise zeigen zu lassen, um die Herkunftsländer festzustellen.
Wenn Berlin nicht zusehen will, wie eine stetig wachsende Gruppe immer mehr verelendet, muss sozial gehandelt werden. Denn eins ist dabei aus Sicht der Fachkräfte klar: je länger diese Menschen auf der Straße leben müssen, desto mehr verfestigt und verschlimmert sich die Armutsproblematik.
Der AKWO sieht ein großes Defizit bei den Hilfen und Angeboten für die wohnungslosen EU-Bürger*innen.
Es gibt nur wenige spezialisierte, zeitlich bis 2018 begrenzte EU-geförderte Projekte für diesen Personenkreis (EHAP). Die Angebote der Wohnungslosenhilfe sind personell und sprachlich dafür bislang unzureichend ausgerüstet. Obwohl die wohnungslosen EU-Bürger*innen immer häufiger die Beratungsstellen, Tagesstätten und andere niedrigschwellige Angebote der Wohnungslosenhilfe aufsuchen, werden diese von Senat und Bezirksämtern mit dem Problem allein gelassen und haben bis jetzt keine Unterstützung erhalten.
Da das reguläre Hilfsangebot den betroffenen EU-Bürger*innen verschlossen bleibt, muss sich die professionelle Hilfe meist auf karitative Angebote beschränken oder an diese weiterleiten wie z.B. Essenausgaben oder Kleiderkammern. Nur im Einzelfall sind erfolgreiche Unterstützungen möglich, insb. auf dem Weg in Arbeit. Alles andere lässt die Betroffenen in ihrer Situation verbleiben und ist eine reine Armutsverwaltung.
Der AKWO ist der Auffassung, dass die Problematik wohnungsloser EU-Bürger*innen nur auf EU-Ebene gelöst werden kann. Die dafür zuständigen Politiker*innen in der Stadt, den Ländern, dem Bund und den EU-Staaten müssen sich auf den Weg machen, statt das Problem auf „einzelne Menschen im Park“ abzuwälzen.
Im einzelnem fordert der AKWO:
- Die gesetzliche Unterbringungspflicht für wohnungslose EU-Bürger*innen (gemäß Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - ASOG) muss gewährleistet sein.
- Lösungsorientierte grundlegende Hilfen für EU-Bürger*innen in prekären Situationen sollen entwickelt und ausreichend mit Personal und Finanzen ausgestattet werden.
- Die vorhandenen Angebote der Wohnungslosenhilfe sollen qualitativ und personell besser in die Lage versetzt werden, EU-Bürger*innen zu helfen.
- Angebote sind langfristig zu sichern – was auch für die bisher zeitlich begrenzten EU-Projekte gelten muss.
- Der Zugang zu kostenlosen und frei zugänglichen/niedrigschwelligen Sprachkursen ist zu schaffen.
- Intensive sozialpädagogische Hilfen bei der Arbeitssuche und zum Arbeitsantritt sind als elementare Unterstützung zu gewährleisten.
Es geht nicht um das Problem eines Bezirkes, sondern um die Stadt als Ganzes. In Kooperation mit den Fachverbänden und verschiedenen Akteuren des Hilfesystems sind nach einer fundierten Analyse ressortübergreifende Maßnahmen zu planen. Ein zentrales „Steuerungsgremium“ muss geschaffen werden.