24. Oktober 2019

Stellungnahme zu den Leitlinien der Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungslosenpolitik der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin

Stellungnahme zu den Leitlinien der Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungslosenpolitik der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin
Der Arbeitskreis Wohnungsnot begrüßt, dass es nach 20 Jahren neue Leitlinien zur Woh-nungsnotfallhilfe in Berlin gibt. Es werden viele wichtige Werte, Prinzipien und Strategien benannt. Der Blick bleibt dabei nicht nur auf die Wohnungsnotfallhilfe gerichtet, auch andere Akteure sind Bestandteil der Betrachtung. Ebenso werden die politischen und gesetzlichen Gegebenheiten näher beschrieben.
Einige der allgemeinen, für uns wichtigen positiven Punkte seien hier genannt:

  • Wohnungslosigkeit so kurz wie möglich halten
  • Zugänge schaffen für Wohnungslose zum allgemeinen Wohnungsmarkt
  • Ende der Wohnungslosigkeit erst mit einem eigenen Mietvertrag
  • signifikante Senkung der Räumungen
  • Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Sanktionen bei Kosten der Unterkunft
  • gesamtstädtischen Steuerungsansatz stärken
  • Einbindung aller Akteure in die Verantwortungsgemeinschaft
  • Betonung der Niedrigschwelligkeit der Hilfen
  • Verbesserung der Schnittstellen

Qualitätsverbesserung für die Praxis sehen wir in den Festsetzungen:

  • bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte ASOG Unterbringung
  • Verbesserungen der Prävention durch frühzeitiges Handeln, aufsuchende Sozialarbeit…
  • Einführung von Fachstellen
  • generelle Übertragung der Leistungsgewährung bei Wohnungsnotfällen an die Fachstelle
  • Berliner Wohnungsnotfallstatistik
  • einheitliches Verfahren für das geschützte Marktsegment
  • Weiterentwicklung der bestehenden Hilfen und Initiierung von Modellprojekten
  • größere Flexibilität der Hilfetypen
  • langfristige Sicherung einer Kältehilfe ohne Anspruchsvoraussetzungen
  • Aufhebung der Behandlungsbeschränkung für die zuwendungsfinanzierten medizini-schen Ambulanzen
  • begleitende und aufsuchende der Hilfen durch eine niedrigschwellige Gemeindepsychiat-rie
  • Anspruch von Unionsangehörigen auf ASOG-Unterbringung unabhängig von sozialhilfe-rechtlichen Ansprüchen
  • Hilfen für Unionsangehörige mit besonderen persönlichen Schwierigkeiten

Inhaltlich gibt es kritische Anmerkungen. Hauptsächlich sehen wir allerdings schwer über-windbare Grenzen der Umsetzbarkeit.
Die Leitlinien sind als verbindlich beschrieben, die gesamtstädtische Steuerung wird betont. Bei der Beschreibung der Rechtsgrundlagen wird aber deutlich, dass viele der beschriebe-nen Ziele tatsächlich nur durch den guten Willen und die Kooperationsbereitschaft der weite-ren autonomen Behörden und Partner funktioniert. Letztendlich fehlt der Senatsverwaltung die gesetzliche Umsetzungsmöglichkeit im Sinne einer gesamtstädtischen Verantwortung, z. B. in Bezug auf bezirksübergreifende Standards für effektive Leistungsgewährung, Verant-wortungsgemeinschaft der verschiedenen Akteure, Übergangsmanagement an Schnittstellen und vieles mehr. Wie schon in den Diskussionen der Arbeitsgruppen in den vergangenen Strategiekonferenzen deutlich wurde, ziehen bei der Umsetzung der Leitlinien nicht alle Be-zirksämter an einem Strang. Weitere Hindernisse sehen wir in den Kooperationen mit den Arbeitsagenturen und den Jobcentern. Es gibt zwar bereits einzelne Kooperationsvereinba-rungen zwischen Wohnungsnotfallhilfe und Jobcentern, sie gelingen aber oft genauso wenig
wie die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Bezirksabteilungen (z. B. zur Jugendhilfe, Gesundheitshilfe).

In Bezug auf die in den Leitlinien benannten Bereiche der Wohnungsnotfallhilfe wollen wir zunächst auf die Schaffung einer Fachstelle eingehen - eine wesentliche Weiterentwicklung im Rahmen von Prävention und bürgernaher Verwaltung. Von zentraler Bedeutung ist hier-bei, die Schaffung eines bezirksübergreifend weitestgehend einheitlich umzusetzenden Mo-dells. Dieser Standard wird in den Leitlinien leider gleich wieder aufgeweicht durch den Hin-weis auf die Unterschiede der zwölf Bezirksämter und ihre Verwaltungshoheit. Selbst funda-mentale Grundlagen des Fachstellenmodells, wie die Übertragung aller Hilfen zur Woh-nungssicherung an die Fachstelle, sei bezirksintern zu prüfen. Wir befürchten, dass es in einigen Bezirken Fachstellen geben wird, die dem Modell näherkommen, und andere, die nur den Namen tragen. Auch der erarbeitete „Abschlussbericht der Berliner BAs zu den Fach-stellen“ sieht kein einheitliches Vorgehen vor und bleibt in Teilen hinter den Forderungen der Leitlinien zurück. Eine Abgabe von Aufgaben der Fachstelle an freie Träger, wie es in eini-gen Bundesländern praktiziert wird, wird in den Leitlinien leider nicht thematisiert.

Weitere Anregungen/Anmerkungen sind:

  • Lösungen zur Wohnraumversorgung der Zielgruppe durch kommunale Wohnungsbauge-sellschaften können unseres Erachtens nur funktionieren, wenn klare Vorgaben von ih-rem Eigentümer, also der Kommune, kommen. Viele Hilfen nach § 67 SGBXII machen immer wieder die Erfahrung, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften bei der Mieterauswahl genauso nach wirtschaftlichen Aspekten arbeiten wie die privaten - zum Nachteil unserer Klientel.
  • Bei der Behandlung von jungen Menschen fehlt uns die Gruppe der 18- bis 21-jährigen komplett. Das Jugendamt verneint meistens seine Zuständigkeit. Auch sie bedürfen einer spezifischen Unterbringungsform und der Übergang zur Wohnungslosenhilfe ist im Sinne einer Gesamtverantwortung zu regeln. dies betrifft u. E. alle Schnittstellen zur Woh-nungsnotfallhilfe.
  • Entgegen der bereits schon länger verlauteten Erklärung der Senatsverwaltung werden in der Praxis häufig Unterbringungsanträge von Menschen ohne sozialrechtlichen Leis-tungsanspruch abgelehnt - ohne Einzelfallprüfung. Hilfen für von Arbeitsausbeutung Be-troffene zu bekommen, ist für die Klientel oft ein langer Leidensweg. Wir wollen damit zeigen, wie wichtig die einzelnen Ausführungen der Leitlinien für die Praxis sind, aber wie schwierig es ist, sie dann auch umzusetzen.
  • Bestärken möchten wir, dass bewährte bestehende Angebote zu unterstützen und wei-terzuentwickeln sind, bevor an neue Projekte gedacht wird. Auch bezirksfinanzierte Ein-richtungen wie z. B. die Wohnungslosentagesstätten haben eine wichtige Funktion im niedrigschwelligen Hilfesystem und müssen gesamtstädtisch betrachtet werden.

o Im Kapitel zur gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung (GStU) wird ein unab-hängiges Beschwerdemanagement für möglichst alle Unterkünfte benannt. Der AKWO definiert ein weitaus breiteres Verständnis für ein Beschwerdemanagment und fordert seit einiger Zeit eine Beschwerdestelle für alle Wohnungsnotfälle nicht nur in Bezug auf Unterbringung, sondern auch in Leistungsangelegenheiten z. B. bei Versagung von 67er Hilfen.
Im Genannten haben wir einige Themen zu den Leitlinien angerissen. Die Liste der Anre-gungen und Fragen des AKWO ist damit noch nicht erschöpft. Wie in den Leitlinien benannt, kann es sich nur um einen ersten Masterplan handeln, der einen fortlaufenden Austausch mit allen Beteiligten bedarf. Gerne erklären wir uns bereit zu unterstützen und regen an, neben den regelmäßigen Strategiekonferenzen wieder Facharbeitsgruppen einzurichten bzw. wei-terzuführen. Aktuell sehen wir vor allem noch Diskussionsbedarf zum Thema Fachstelle.

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